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Im grünen Ghetto

Dienstag, November 20th, 2012

Mal etwas ausserhalb des Fußballs.

Maximilian Buddenbohm hat Blogger und Bloggerinnen aufgefordert ihren Stadtteil zu beschreiben.

Bisher gibt es schon sehr viele schöne Beiträge, eine Übersicht der bisher veröffentlichenten Artikel gibt es hier.

Da wollte ich auch gerne was zu beitragen. Ich wohne jetzt in Barmbek, darüber haben aber schon andere geschrieben. Also habe ich mich entschlossen über meine Heimat zu schreiben.

Ich komme aus Mümmelmannsberg. Das ist kein eigener Stadtteil in Hamburg, er gehört zu Billstedt, obwohl wir aus Mümmel, M-Town, Müberg oder wie auch immer es gerne genannt wird, es am liebsten hätten, es wäre ein eigener.

Über Mümmelmannsberg gibt es viele Vorurteile: Hartz4, Ausländer, Kriminalität, Drogen und alles schlimme dieser Welt. Es ist sehr schwer, von diesem Bild weg zu kommen.

Ich bin geboren in Bergedorf und in den 80er Jahren sind wir in eine niegelnagelneue 3 1/2 Zimmerwohnung in der Großen Holl gezogen. Aus dem Fenster meines Kinderzimmers habe ich die Wiesen und Weiden der Bauern aus Havighorst oder Oststeinbek gesehen, grenzt Mümmelmannsberg doch direkt an Schleswig-Holstein. Und da ist es ja bekanntlich grün. In meiner Jugend bin ich auf Kühen geritten und habe im Kornfeld mit meinem Bruder und unseren Freunden ein Lager gebaut. Immer auf der Hut vor dem Bauer mit der Mistgabel, wobei wir immer erzählen, er hätte eine Schrotflinte. Aber ich schweife ab.

Wir haben daneben noch das Naturschutzgebiet Boberger Niederungen und die Glinder Au. Viel grün für ein Ghetto, oder? Auch in der Siedlung selbst sind viele kleine Grünflächen angelegt, ich hatte nie das Gefühl in einer Betonburg aufgewachsen zu sein. Klar, die Max-Pechstein-Straße ist nicht gerade schön gebaut worden, die Hochhäuser boten nicht immer einen tollen Anblick, aber wenn man unten, auf der Straße läuft, sieht man mehr grün als grau.

Mümmelmannsberg ist alt, schon sehr alt. Mein Vater (gebürtiger Lohbrügger und nein, dann ist man kein Bergedorfer!) erzählt mir immer noch gerne, daß er früher über die grünen Wiesen auf dem Berg gefahren ist, um in die Innenstadt zu kommen. Heute leben dort knapp 19.000 Menschen (Es waren schon mal mehr, ich glaube als ich jung war, damals, waren es 22.000; in den Anfängen sprach man sogar von 30.000). Gebaut wurden die Wohnungen für all diese Menschen im Zeitraum zwischen 1970 und 1979. Viel Platz gab man ihnen nicht, man baute eher hoch als breit. In den 70ern war bezahlbarer Wohnraum ein rares Gut, aber die Skrupel eine Siedlung für solch eine Menschenmasse zu bauen, waren nicht sehr groß: Der soziale Wohnungsbau boomte.

Die Siedlung ist klar strukturiert: Die Kandinskyallee durchteilt von Süd nach Nord. Wer südlich wohnt, geht in die Grundschule Rahewinkel, wer nördlich wohnt in die Grundschule Mümmelmannsberg. Ok, bei mir war das anders, ich wohnte im Süden und ging im Norden zur Schule. Zu Fuß mußte ich jeden Morgen bei Wind und Wetter 1100 Meter gehen. Aber ich schweife ab. Zurück zur Struktur: Von Ost nach West gibt es abgehend von der Kandinskyallee die Straße Mümmelmannsberg und den Havighorster Redder. Im Herzen des Stadtteils ist das häßliche Einkaufszentrum platziert worden, umringt von mehreren Hochhäusern.

Es gab dort auch mal Läden in denen man was kaufen konnte, heute ist es aber eher schäbig dort und nicht schön. Sämtliche Versuche, das EKZ zu sanieren, schlugen fehl, kein privater Investor traut sich an den Betonmoloch ran. Es gibt eine Gesamtschule im „warum-auch-immer-hat-man-diese-Farbe-gewählt“-Orange. Selbst nach der Asbestsanierung in den 90ern hat man nicht über eine neue Fassade nachgedacht.

Seit 1990 ist Mümmelmannsberg die Endhaltestelle der U3. Ich weigere mich übrigens bis heute, die U3 U2 zu nennen. Die können doch nicht meine gelbe Linie einfach rot machen und auch noch umbenennen! Ich bin da stur.

Neben dem schaurig-schönem EKZ gibt es noch einen Skulpturenpark. In den 70ern gab es noch öffentliche Gelder für Kunst am Bau, die Ergebnisse waren entsprechend. Wir hätten damals lieber ein paar Schaukeln oder Rutschen mehr gehabt, aber wir waren Kinder, wir hatten ja keine Ahnung.

Viele berühmte Künstler tummeln sich in Mümmel. Edward Munch, Max Pechstein, Mondrian, Franz Marc, August Macke, Paul Klee und auch Kandinsky. Als die Siedlung gebaut wurde, mußten ja neue Straßennamen her. Also nahm man sich die Künstler und machte aus ihnen Straßen.

Die Siedlung war nach dem Bau schnell in Verruf geraten. Kein Wunder, wurden die Sozialwohnungen doch damals noch belegt und die Mischung aus hoher Arbeitslosigkeit, hohem Ausländeranteil und wenig Möglichkeiten seine Freizeit zu nutzen taten ihr übriges. Dieser Ruf war schnell „verdient“ und wenn man sich einen schlechten aufgebaut hat, dauert es mindestens 10 mal so lang ihn wieder zu verbessern. Noch 2006 zahlte das ZDF Jugendlichen Geld, um einen Bericht über Jugendgangs zu drehen. Sie sollten das Klischee bedienen, das man in Hamburg über Mümmel hat. Man wollte den Zuschauern das geben, was sie erwarten.

Aber aufgegeben haben wir unsere Siedlung, haben wir Mümmel, nicht. Es wurden viele Vereine und Initiativen gegründet, die noch heute viele tolle und gute Aktionen ins Leben rufen. Meine Familie war daran auch beteiligt, noch heute wird die Stadtteilzeitung „aktiv wohnen“ im Stadtteil kostenlos in alle Briefkästen verteilt. Ich will nicht alle Vereine und Initiativen auflisten, ich kann nur schreiben, daß viel für die Integration und einen lebenswerteren Stadtteil getan wird. Dabei darf man nicht vergessen, daß dies ehrenamtlich erfolgt. Die ehemals häßlichen Hochhäuser werden heute von großen Gemälden verschönert, jedes Jahr findet ein Stadtteilfest statt, ein Sportfest und viele weitere kleinere und größere Veranstaltungen, die sich um Musik, Sport, Kunst und Integration drehen. Zu finden sind diese Veranstaltungen, Vereine und Initiativen bei Stadtteil Mümmelmannsberg und aktiv wohnen.

Mümmelmannsberg ist nicht hip, ich glaube, es will das auch gar nicht sein. Es will nur ernst genommen werden und frei von Vorurteilen seinen Bewohnern ein Zuhause bieten. Mittlerweile verschwindet der Waschbetonchic aus den 70ern auch immer mehr, die Wohnungsbaugesellschaften modernisieren die Gebäude so, daß sie alle nicht mehr gleich aussehen, sondern ein so unterschiedliches Bild abgeben wie seine Bewohner. Es gibt Cafés und Restaurants, die zwar in keinen Restaurantführern auftauchen, aber Essen und Trinken anbieten. Mal besser, mal schlechter, wie anderswo auch. Man fährt nicht nach Mümmel um sich zu amüsieren, man wohnt dort gerne. Das gerne ist hart verdient und bedarf weiterem Einsatz von vielen Menschen, die ihren Stadtteil lieben.

Ich bin froh, daß ich in diesem Stadtteil aufgewachsen bin. Es lehrte mich Toleranz und vor allem, daß Vorurteile eben genau solche sind und man sich immer ein eigenes Urteil bilden sollte. Selbst kein Ausländer oder Sozialhilfeempfänger durfte ich alle Vorurteile, die es über die Bewohner gibt, am eigenen Leib erfahren. Meistens der totalen Unwissenheit geschuldet, aber als Jugendlicher und Jungerwachsener prägt das sehr. Selbst bin ich nie in eine Schlägerei geraten, wurde nie überfallen und habe das selbst auch nie getan. Klar, einige meiner Bekannten und Freunde aus Kindergartenzeiten haben eine andere Karriere eingeschlagen. Das ist in anderen Stadtteilen eher nicht so. Meine Familie hat sich immer im Stadtteil engagiert und tut es heute noch.

Ich fahre gerne nach Mümmel um meine Eltern zu besuchen. Ich fühle mich nie unsicher und gehe zu Tag und Nacht Zeit zur U-Bahn oder parke mein Auto auch ohne Angst in den Straßen.

Aber so geht es wohl jedem, der in seine Heimat fährt. Nach Hause kommt.

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